Carl Walter Liner
Landschaften und Stadtansichten
Sonntag, 14. März 2004 - Sonntag, 21. November 2004
Carl Walter Liners Landschaftsbilder spannen einen Bogen von frühen impressionistischen Appenzellerlandschaften bis zu den späteren mediterranen Ansichten, welche als eigenständige, oft von starken Kontrasten und markanten Konturen geprägte Malereien, die Betrachter faszinieren.
Parallel zu diesen Bilder entstehen seit den frühen 1950er Jahren zunehmend abstrakte Kompositionen, die Carl Walter Liners Erfahrungen mit der Landschafts- und Architekturmalerei in eine „ungegenständliche“, imaginäre Bildwelt einbringen.
Landschaften und Stadtansichten
Carl Walter Liners Landschaften vom Ende der Dreissigerjahre, mehrheitlich zart gemalte Impressionen der Appenzeller Landschaft, zeugen noch vom prägenden Vorbild seines Vaters. In Auseinandersetzung mit der französischen Malerei entwickelt C.W. Liner nach dem Zweiten Weltkrieg eine eigenständige, oft von starken Kontrasten und markanten Konturen geprägte Landschaftsmalerei. Seine in Südfrankreich, in der Toskana, in Spanien, auf Korsika und in Nordafrika gemalten Bilder entstehen in den späten Vierziger- und in den Fünfzigerjahren parallel zu den abstrakten Kompositionen und scheinen sich gegenseitig zu befruchten. Liners Interesse gilt dabei sowohl der „natürlichen“, unverbauten Landschaft wie auch den durch ihre Architektur geprägten Dorf- und Stadtansichten als eigentlichen „Stadtlandschaften“.
Die Ausstellung präsentiert im 1. OG eine Auswahl grösserer Landschaften und Stadtimpressionen von der Zeit um 1940 bis in die Sechzigerjahre. Anfänglich sind es eher tonige, mit zurückhaltenden Farbkontrasten arbeitende Stadtveduten, die vor allem an den damaligen Wohnorten Zürich und Paris entstehen. Eine mit 1946 datierte „Appenzeller Winterlandschaft“ steht gleichsam am Beginn einer ganzen Reihe von zumeist undatierten Appenzeller Landschaftsimpressionen. Während C.W. Liner hier noch von den malerischen Erfahrungen mit den Stadtansichten auszugehen scheint – und gleichzeitig die auf einen Farbakkord beschränkten späten Winterlanschaften seines Vaters weiterführt - , sind die späteren Appenzeller Landschaftsbilder bereits stark beeinflusst von der Umsetzung seiner Naturerlebnisse unter südlichem Licht, was sich einerseits in klarer umrissenen Farbflächen äussert, andererseits in stark kontrastierenden, sich vom farbigen Grund dunkel abhebenden Silhouetten. Wie schon in der „Hottingerstrasse im Winter“ von 1944 sind es vor allem Baumformen, die die farbige Bildfläche rhythmisch gliedern. Die bewegte, mit pastoser Farbe aufgetragene Ansicht einer „Toskanalandschaft“ von 1949 markiert den Übergang zu einer expressiveren Auffassung der Landschaft, die einerseits mit klareren, als Binnenform eingesetzten Farben, andererseits mit bewegterem Pinselstrich und schwarzen Konturen arbeitet. Es sind jene schwarzen Konturen, die auch C. W. Liners abstrakte Kompositionen seit den frühen Fünfzigerjahren kennzeichnen.
Im 2. Obergeschoss
Im 2. OG finden sich vor allem die meist kleinformatigen, für Liners malerische Entwicklung bedeutenden Ölskizzen aus südlichen Gefilden, die in den Vierziger- und Fünfzigerjahren entstanden sind und den Betrachter durch eine dezidierte Motivwahl, die strenge Kompositionsweise und die leuchtenden Farben anziehen. Was den Künstler, neben der Dynamik der sich gegen den Himmel – auch den Nachthimmel – abhebenden Baum- und Strauchformationen hier zu interessieren scheint, ist sowohl die Tektonik der „gebauten“ Landschaft und der harmonisch integrierten kubischen Gebäude, wie auch die Kurvilineatur eines natürlichen Meerbusens oder einer Hafenpromenade. In der Nachfolge der französischen „Fauves“, die sich vom optischen Illusionismus der Impressionisten abgewandt und den Gegenständen ihre eigene Farbigkeit verliehen haben, sind Liners Landschaften und Stadtansichten in Farbakkorden gehalten, die eine besondere, von Freude und Melancholie gleichzeitig geprägte Stimmung hervorrufen.
Abstrakte Kompositionen der 1960er Jahre
In der Erdgeschosshalle der Kunsthalle Ziegelhütte
Abstrakte Kompositionen der 1960er Jahre
Parallel zu den anfänglich in Algerien, Korsika und Spanien, später in Südfrankreich und in der Toskana gemalten Bildern entstehen seit den frühen 1950er Jahren zunehmend abstrakte Kompositionen, die Carl Walter Liners Erfahrungen mit der Landschafts- und Architekturmalerei in eine „ungegenständliche“, imaginäre Bildwelt einbringen. Ein Werk wie die links von der Eingangstür präsentierte [hier: im Bildblock oben rechts], vergleichsweise kleinformatige Leinwand „Ohne Titel“, 1954, leitet mit seiner Struktur und seinem Farbauftrag von Landschaftsdarstellungen wie “Bou-Saada, Algerien“, 1950, oder „Fluss bei Bou-Saada“, 1950 (beide im 2. Obergeschoss ausgestellt) zu den grossformatigen Kompositionen der 1960er Jahre über. Geprägt von den sozialen Umwälzungen des Zweiten Weltkriegs und der Zeit danach, macht sich C.W. Liner – wie andere Künstler seiner Generation – daran, der fragwürdig gewordenen „realistischen“ Malerei durch eine Erweiterung der malerischen Mittel zu neuer Glaubwürdigkeit zu verhelfen. In diesem Jahrzehnt entdeckt er neue Möglichkeiten, die seine Ausdrucksweise vom Gegenständlichen abheben und ihr mit dem grossen Reichtum der abstrakten Bildsprache zusehends spirituelle Dimensionen eröffnen.
Avenue Général Leclerc, Paris
Eines der wichtigsten Spannungsfelder der künstlerischen Umwälzungen ist zu diesem Zeitpunkt immer noch Paris. C.W. Liner besitzt in der französischen Metropole seit Kriegsende wieder ein Atelier und bezeichnet zahlreiche seiner hier entstehenden Abstraktionen der 1960er Jahre rückseitig mit der Adresse: Carl Liner 19, av. Général Leclerc Paris. So etwa auch die beiden grossformatigen „Kompositionen“, o. J., der mittleren 1960er Jahre (auf der Eingangswand das dritte Bild rechts sowie auf der Stirnwand das mittlere Bild). Innerhalb der so genannten Zweiten École de Paris formieren sich die Kräfte, die ein klassisches Formen- und Kompositionsprinzip ebenso ablehnen wie eine strenge geometrische Bildsprache, zugunsten einer ungegenständlichen, prozessual und gestisch bestimmten Bildform. Eine formlose, also „informelle“ Kunst ist angesagt: „L’ Art Informel“. Seit den frühen 1950er Jahren verfolgt C.W. Liner in seiner Malerei beide Ausdrucksweisen: eine vor allem im Appenzellischen und in südlichen Gefilden entstehende Landschaftsmalerei ebenso wie abstrakte Kompositionen, in denen er seiner Phantasie freien Lauf lassen kann. In seinen Worten: „Die Abstraktion in meiner Malerei ist nicht ein Abwenden von der Natur, sondern eine neue Sicht der Natur; eine Ergänzung und Erweiterung in die Phantasie. Ich versuche Natur und seelische Kräfte darzustellen. Mein grösstes Anliegen ist es, aus der Spannung zwischen Phantasie und Wirklichkeit eine magische Wirkung zu erzielen.“