Wilhelm Mundt

Trashstones

Sonntag, 04. März 2007
- Sonntag, 20. Mai 2007

Kunsthalle Appenzell

Wilhelm Mundt (*1959) gehört zu den herausragenden Bildhauern der mittleren Generation. Mundt, der unter anderem bei Tony Cragg an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, zählt seit den 1980er Jahren zu den wegweisenden Künstlern der so genannten Postmoderne. Er hat mit grossformatigen, meist ortsbezogenen Rauminstallationen begonnen, die industrielle Herstellungsprozesse und funktionsabhängige Formfindungen in autonome künstlerische Kontexte stellten.

Die künstlerische Gestaltung wurde und wird von Mundt oft als „Werkperformance“ in Szene gesetzt. Das performative Moment seiner Arbeit dokumentiert sich unter anderem in Musikauftritten wie auch in Filmen, die er parallel zu seinen plastischen Werken aufnimmt. In dieser Beziehung kann Mundt als einer der bedeutenden Vertreter jener Künstlergeneration gesehen werden, die ein multimediales beziehungsweise multivalentes kulturelles Crossover praktizieren: eine Ineinanderblendung von Kunst und Leben, von Alltag und ästhetischer Praxis.

Der umfassende künstlerische Ansatz, Ästhetik und Ethik, Ironie und Ernst verbindend, hier durchaus auch Joseph Beuys oder Roman Signer verwandt, prägt Mundts Arbeit bis heute. Aus diesem Grund reichen seine Werke auch weit über neodadaistische Spielereien oder puristisch selbstbezogene Formexperimente hinaus. Sie sind im besten Sinne Ver- oder Umwandlungen des (banal) Erlebten oder (trivial) Gelebten in bedeutungsvolle, sinnlich erfassbare Schönheit.

Besonders die Werkserie der „Trashstones“, die Wilhelm Mundt 1989 mit dem Stein 001 begonnen hat, zeigt den Künstler als Persönlichkeit, welche die bildhauerischen Traditionen oder Konventionen der Moderne (beziehungsweise ihre Formbrüche) reflektiert und zugleich im „Gehalt“, in der intellektuellen und handwerklichen Durchdringung, erneuert. Damit wird Mundt zu einem der innovativsten Bildhauer der Gegenwart.

Die Trashstones, die „Abfallsteine“, die gerade nicht Trash sind, obwohl das Ausgangsmaterial tatsächlich aus Müll, Atelierrückständen beziehungsweise einfach vorgefundenen, manchmal auch für die Biographie des Künstlers signifikanten Gegenständen besteht, werden in einem komplexen, sehr arbeitsintensiven Prozess von Mundt gestaltet. Nach der Bündelung der Gegenstände – vom Schaumstoff über Farbkübel bis zum Fahrrad, nach der Ummantelung mit verschieden dichten Folien werden die so entstandenen Rohlinge von mehreren GFK-Schichten umhüllt, dann geschliffen und poliert.

Den Steinen ist neben der ästhetisch hohen Wertigkeit auch aktuelle gesellschaftliche Relevanz zuzusprechen. Nicht nur, dass mit den Steinen Gattungsüberschreitungen wie jene von Hans Arp oder Frank Stella weitergeführt und neu definiert werden, vielmehr, dass auch ökonomisch-ökologische Problemstellungen „eingebaut“, objektimmanent vergegenwärtigt werden: Kunst als wertsetzendes Recyclingsystem; Ideen und Dinge werden nicht gleichgültig behandelt oder weggeworfen, sondern umwertend erhalten – ein Kreislauf vom Geistlosen zum Sublimen.

Die Ausstellung „Wilhelm Mundt – Trashstones“ vereinigt erstmals im musealen Rahmen 20 Steine aus den frühen 1990er Jahren bis heute. Die Werke, meist Leihgaben aus Museumsbesitz und von Schweizer beziehungsweise deutschen Privatsammlungen, ist eine Retrospektive dieser durchnumerierten Reihe, die heute fast 350 Arbeiten umfasst – inklusive dem einzigen nicht bezifferten Stein, der all jenen gewidmet ist, auf deren Haut eine Erkennungszahl eintätowiert wurde. Die vom Künstler eingerichtete Ausstellung zeigt die Entwicklung von den frühen, eher monochromen Arbeiten bis zu den jüngsten, in der Farbigkeit fast berstenden Steinen. Ebenso kann der Weg von einer matten Oberfläche zur transparent glänzenden Lichtigkeit nachvollzogen werden. Wobei das Neben- und Miteinander der Steine aus den verschiedenen Werkphasen letztlich zum Bild einer amorphen Herde wird, in der die alten Wesen mit den jungen kommunizieren – oder die übermütigen Jugendlichen mit den zur Ruhe gekommenen Erwachsenen konkurrieren. Anschaulich präsent im Wechselspiel der Formen, deren zugleich hermetische Geschlossenheit und doch auswuchernde Organik menschliche Gestik und in der Gruppierung soziales Verhalten suggerieren. Die Steine reagieren auf- und miteinander – sind zwar von solitärer Schönheit, aber dennoch nicht allein (vorstellbar).

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der die einzelnen Werke wie auch die Appenzeller Interpretation der Serie dokumentiert. Mit Texten von Roland Scotti und Vera Gliem, zahlreichen Farbabbildungen und einer Biographie des Künstlers; 64 Seiten, Hardcover, Museumspreis: 45.- CHF. Zum Shop


CARL WALTER LINER


Landschaften (1.+2.OG)

Die Ausstellung dauert von 9. September 2006 bis 20. Mai 2007
Carl Walter Liner (1914-1997), der in der Hauptsache eine künstlerische Ausbildung bei seinem Vater Carl August Liner (1871-1946), einem Vertreter der spätimpressionistischen Landschafts- und Genremalerei, genoss, knüpfte in den 1930er Jahren folgerichtig an die Motive und Themen seines Vorbildes an. Stilistisch bemühte er sich allerdings um einen Anschluss an die expressiven wie auch neusachlichen Tendenzen seiner Epoche. Ganz im Bewusstsein der Tatsache, dass er nicht einfach das künstlerische Werk des Vaters fort-setzen konnte, sondern dass er zu eigenständigen Formulierungen gelangen sollte, kurz: zu einem zeitgemässen Ausdruck seiner Sicht auf die Welt.

Im 1. Obergeschoss wird die Entwicklung und Vielfalt der Landschaftsdarstellungen Carl Walter Liners anhand von ausgewählten Beispielen in locker chronologischer Reihenfolge präsentiert. Der Rundgang beginnt mit der auf 1939 datierten Ansicht vom Unterrain, ein Gemälde, das im flächigen Aufbau und der gebrochenen Farbigkeit an die süddeutsche Leibl-Schule anknüpft. Das dargestellte Motiv, eine Ansicht aus der nahen Umgebung des „Land-hauses“, des Elternhauses, in dem Liner bis zu seinem Tod lebte und arbeitete, wird in den Folgejahren zu einem der Leitmotive der figurativen Malerei Liners – ein Motiv, an dem er die künstlerische Handschrift und seinen Ausdruckswillen immer wieder erprobte. Die an den Ausstellungsauftakt anschliessenden Stadtansichten und Parklandschaften aus Bad Ragaz, Zürich und vor allem Paris sind zum einen Zeugnis der künstlerischen Suche Liners, die Spannbreite reicht von der impressionistisch hingetupften Sonnenlandschaft über den pastosen Farbauftrag und die breitflächige Pinselschrift hin zu der in der Farbe und in der Form expressiv überzogenen Wiedergabe im grandiosen Bild Porte St. Cloud. Andererseits sind diese Werke ganz einfach Beleg für die grosse und liebevolle Aufmerksamkeit, die der Künstler seiner Umgebung widmete.

Eine Zäsur findet der Betrachter bei jenen Gemälden, die in den 1950er Jahren während ver-schiedener Aufenthalte auf Korsika entstanden sind. Das vierte Lebensjahrzehnt war für den Künstler eine Zeit des Umbruchs, des Versuchs auch, sich den internationalen abstrakten Kunstrichtungen anzuschliessen. Die starkfarbigen, oft tektonisch aufgebauten und formal reduzierten Korsikalandschaften zeigen deutlich Liners Beschäftigung mit der Malerei Cézannes, der Kubisten und der Fauves. Gleichzeitig sind sie Entsprechungen zu den abstrakten, expressiv aufgeladenen Gemälden, die Liner im gleichen Zeitraum unter dem Einfluss der Pariser Tachisten schuf. In gewisser Weisheit schlägt die malerische „Kühnheit“, die sich der Künstler in der gegenstandslosen Malerei erlaubt, auf das Landschaftsmotiv durch – ganz deutlich zu sehen in den 1954 gemalten Werken Wasserfall in Sonnenhalb.
Die 10 Gouachen an den Mittelwänden im 1. OG stehen exemplarisch für die Bedeutung der Aquarellmalerei im Gesamtwerk des Künstlers, der keinen Tag ohne eine „Wasserzeich-nung“ vergehen liess. Die Arbeiten auf Papier – zwischen exaktem Landschaftsstudium und improvisierter Landschaftserfindung schwebend – gehören zu den herausragendsten künstle-rischen Leistungen Liners.

Das 2. Obergeschoss ist der Appenzeller Landschaft gewidmet, die für Liner immer Ruhepol und Bildanlass war. Motive wie der Blick vom Landhaus auf das „blaue Haus“, die Aussicht auf die Berge Fähnern, Hoher Kasten oder Kamor, Fluss- und Seelandschaften, die Sitter, den Weissbach oder den Sämtisersee zeigen, entfalten das Panorama einer Natur, mit der Liner innig verbunden war. Wobei die vertrauten Landschaften grundsätzlich auch die Gelegenheit boten, das stilistische Repertoire, das technische Können zu erproben – ohne Rücksicht auf die Ansprüche und Regeln des Kunstmarkts. So finden sich lichtdurchflutete Impressionen neben abstrahierenden Kompositionen, zentralperspektivische Illusionen neben Landschaf-ten, in denen Raum allein durch die Farbwerte suggeriert wird. Man kann dies als künstleri-sche Inkonsequenz werten oder als Ausdruck einer Haltung sehen, welche sich wenig um „Kunst-Ismen“ kümmerte – die Bilder blieben Zeugen einer authentischen Liebe zur Natur.

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Wilhelm Mundt. Blick in den Ausstellungsraum; Wilhelm Mundt. Blick in den Ausstellungsraum