Julius Bissier
Der metaphysische Maler
Sonntag, 09. November 2008 - Sonntag, 15. Februar 2009
Die Ausstellung stellt erstmals das Gesamtwerk des Künstlers Julius Bissier (1893-1965) als in sich stimmige Entwicklung dar. Trotz der formalen Brüche, der besonders im Beginn durchlaufenen stili-stischen Wechsel, kann das gesamte künstlerische Schaffen Bissiers sowohl wegen der formalen Qualitäten (wie Farbwahl, Kompositionsstruktur usw.) wie auch besonders aufgrund der künstleri-schen Haltung und des metaphysischen Gehalts in dem im Museum Liner eingerichteten Rundgang als Einheit erlebt werden.
Der chronologisch aufgebaute Rundgang beginnt in Raum 1 mit dem Frühwerk, das bislang kaum in eine Retrospektive eingebunden war – auch, weil ein Grossteil dieses Werkphase 1934 bei einem Brand in der Universität Freiburg i. Br., in der Bissier ein Atelier eingerichtet hatte, vernichtet wur-de. Das „altmeisterliche“ Selbstbildnis von 1916 zeigt den 23jährigen Künstler als Propheten, der die Welt betrachtet, um sie zu interpretieren – sei es auf naturmystische Art wie in der Zeugung im All (1920), sei es als Gleichnis der Einheit von Natur und Mensch wie in dem grossformatigen Ge-mälde Hl. Hieronymus (1919), das bereits die Rezeption ostasiatischer Kunst und Kultur durch den Künstler Bissier ankündigt. In Raum 2 zeigen Stillleben und Landschaften (1923-1927) im neusachli-chen Stil, wie Bissier Bildräume konstruiert, wie er vorgefundenes Chaos für das Betrachterauge ordnet. Im gleichen Kabinett begegnet man grundlegenden Tuscharbeiten wie den Blättern zu dem Spanischen Bürgerkrieg (1936), die zugleich eine Totenklage für den früh verstorbenen Sohn sind, dem Schlüsselwerk ob es eine heroische Landschaft ist? … (1936), und der Reihe mit dem Mono-gramm J.B., dem männl. weibl. Einheitszeichen und der aufprallenden Woge (1938/1939), in denen das grundsätzliche Thema des Dualismus oder des Bipolaren in wesentlicher Form aufgehoben wird – auch hier klingt Bissiers Beschäftigung mit dem ostasiatischen Kulturraum an, als Nachhall des Yin und Yang, der taoistischen Aufteilung der Welt in männliche und weibliche Energien oder Prinzipien. Wobei bereits die um 1931 entstandenen Abstraktionen, die von fern an das aggressiv sexuell konnotierte Frühwerk Alberto Giacomettis erinnern, in Raum 3 als Formulierung der gegen-seitigen Durchdringung und Abhängigkeit der (nicht nur erotischen bzw. biologischen) Gegensatz-paare zu werten sind. Selbst die naturalistischen Tarnbildern (ab 1933) – so genannt, weil sie dazu dienten, im Falle des Falles die Schergen des Nationalsozialismus davon zu überzeugen, dass Bissier ein harmloser Maler sei – sind Bildwerdungen dieser „bipolaren“ Vorstellungswelt: Es geht immer um die Spannung zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Schutzlosigkeit und Behütetsein, den Raum um Geben und Nehmen. Ab 1939, nach dem Umzug in das beschauliche Hagnau am Boden-see, entwickelt Bissier das bildnerische Alphabet, seine Chiffren und Symbole, immer weiter, er erschafft eine Bildwelt, die durchaus als paralleles Universum zur Realität zu sehen ist. Nur handelt es sich dabei um eine Welt, aus der das Oberflächliche ausgeblendet wird, um das Wesentliche, im Falle des Bissiers könnte man von den essentiellen Empfindungen sprechen, darzustellen: ab Ende der 1940er Jahre nimmt Bissier zur kalligraphischen Zeichenhaftigkeit auch wieder die Farbe als Stimmungs- und Bedeutungswert hinzu – zuerst in den Monotypien, später auch als Aquarell- oder Ölfarbauftrag. Raum 5 bis 8 zeigen mit welch grosser Souveränität Bissier in den 1940er und 1950er Jahren die Grenzlinie zwischen einer reinen Abstraktion und einer symbolgeladenen Abbildhaftigkeit beschreitet, die Möglichkeiten einer nicht-anekdotischen Welterzählung auslotet. In Blättern wie Ins Leere stürzen (1948), Tourettes s. Loup (1957), der Papst ist tot (1958) verbindet Bissier eine freie Zeichensprache mit einer Bedeutungsebene, die tatsächlich für jeden lesbar sein kann – wobei der Künstler sicher keinen Wortsinn vorgibt, sondern eher auf emotionale Äquivalente im Betrachter setzt. In Raum 9 belegt die Gegenüberstellung der drei Tuscharbeiten mit den fünf farbigen Miniatu-ren noch einmal die Spannung zwischen intuitiver und reflektierter Formsetzung, die den gesamten Arbeitsprozess, die Bildwerdungen, Bissiers prägt. Raum 10 ist ganz den späten Miniaturen gewid-met, deren Ruhe und Ausgeglichenheit jenes Weltgebäude spiegelt, das Bissier nach dem Umzug 1961 ins Tessin wohl in sich fand und auf dem Bildträger erschuf. Das Aquarell „de quoi?“ (1962) gibt die Antwort auf alle Fragen: Die Kunst Bissiers handelt von der Schönheit, in der Angst und Erfüllung sich begegnen.