Gerold Tagwerker
_grids.zeroXV
Sonntag, 12. Juli 2015 - Sonntag, 18. Oktober 2015
Die Ausstellung Gerold Tagwerker _grids.zeroXV ist die erste monographische Ausstellung des Vorarlberger Künstlers in der Schweiz.
Tagwerker arbeitet u.a. mit Holz, Metall, Licht, Spiegeln und Fotografie. Er gehört zu jenen Künstlern, welche die Tradition der konstruktiven Kunst mit einer existentiellen bzw. narrativen Aufladung fortführen. Der geometrische Raster bildet in den Arbeiten Tagwerkers eine immer wiederkehrende Figur. Die Idee einer Struktur, aus der die Welt, gleich ob ästhetisch oder real, gebaut sein könnte, bildet einen wesentlichen formalen wie auch inhaltlichen Bezugspunkt. Mit seinen Werken bringt Tagwerker architektonische und ästhetische Strukturen, aber auch gesellschaftliche und politische Muster in Verbindung.
In der Ausstellung im Kunstmuseum Appenzell, das selbst einer der herausragenden musealen Raster- oder Modulbauten der jüngeren Architekturgeschichte ist, werden die Arbeiten von Tagwerker in einen spannungsvollen Dialog zu den einzelnen Kabinetten, aber auch zur schindelartigen Aussenhaut des monolithisch erscheinenden Gebäudes gesetzt. In diesem Dialog zwischen Präsentationsraum und Kunstwerk wird einer der wesentlichen Ansatzpunkte der Kunst Tagwerkes deutlicher als an anderen Ausstellungsorten: die Frage nach der Inter-dependenz von Ästhetik und Macht, von Mass und Ordnung, von Erscheinung und Bedeutung.
In der Ausstellung werden Arbeiten von 2001 bis heute gezeigt – mehrheitlich drei-dimensionale Arbeiten und Lichtinstallationen, ergänzt durch Fotoarbeiten. Im Rundgang, der sorgfältig die „Hausarchitektur“ der 10 kleinen bis mittelgrossen Räume integriert, hat Tagwerker eine multiperspektivische „Werk-Erzählung“ realisiert, die einerseits die Kohärenz seines Formen- und Materialvokabulars zeigt; andererseits wird die gerade in der Konzentration bilderzeugende reiche Sprache deutlich.
Der Rundgang durch die zehn Kabinette des Museums bietet einen Überblick zum Schaffen Tagwerkers seit 2000. In der sparsamen, auf die Räume hin konzipierten Inszenierung erleben die Besucher Raum, Licht, Spiegelungen, Metall, Fotografie, Holz … Umgebung, Rhythmus, Ton und Zeit als Elemente einer Kunst, die formale Reflektion und narrative Assoziation in-einander blendet.
Im Foyer wird der Besucher von einem scan.portrait begrüsst: armiertes grünliches Glas vor einer Spiegelfläche in einem Metallrahmen, banal und poetisch zugleich. Das gerasterte, unscharfe Spiegelbild des Betrachters verweist auf digitale Überwachungstechniken; aus einem anderen Blickwinkel nimmt man pointillistische Interieurs oder Landschaftsbilder wahr: Malerei ohne Pinsel und in jedem Augenblick anders. Das Unbetitelte Deutsche Ornament in Raum 1 ist autonome Plastik und zugleich ein Verweis auf ein Ornament für Arme – aus Billigsteinen gefügte Sichtschutzmauern, die in einer Abwandlung des gemauerten Blockverbands das deutsche Stadtbild der1960er und 1970er Jahre prägten. In der Version von Tag-werker wird daraus ein silbriger Paravent, ein Raumteiler aus La Notte von Michelangelo Antonioni; oder doch eine Barriere, die den Bereich der Kunst vom Alltag trennt? Ebenso fragwürdig erscheint die „Wandleuchte“ 6x4x18W.flash: es wird nichts beleuchtet, aber möglicherweise erzeugen die rhythmisch getakteten 24 Neonröhren hinter den 6 Acrylglaskörpern ein sich ständig wandelndes monochromes Gemälde, dessen Thema die Farbe Weiss ist – untermalt vom leisen Klingeln der Vorschaltgeräte, die jeden Lichtstrich ankündigen.
Das Motiv des Raumteilers, vielleicht auch Bildmischers, wird in Raum 2 weitergeführt. Das Moiré-Labyrinth aus 8 Standspiegeln, angeordnet in einem logischen Raster, ermöglicht unendliche, mal nüchterne, mal psychedelische Bildeindrücke. Der Alias-Effekt der im menschlichen Auge aufgrund seiner „fehlerhaften“ Konstruktion unmittelbar eintritt, wenn unter-schiedliche (Punkt-) Raster miteinander kombiniert werden, ist notwendig, um noch nicht gesehene Phänomene zu erschaffen.
Der „genähte“ Spiegel in Raum 3 gibt nichts wieder: er zeigt eine Lichtzeichnung, die so nur an dieser Stelle in diesem Gebäude möglich ist. Dass unser Spiegelbild von der Spiegelnabe durchixt wird, ist ein visueller Nebeneffekt. Dafür pocht das Vorschaltgerät in der Bodenarbeit tube.flash fast im Herzrhythmus und ermöglicht an den beiden Enden des Lüftungskanals das temporäre Aufblitzen eines Rasterbildes. Die Individualisierung technischer Versatzstücke kippt im grid.portrait in Raum 4 in die technoide Entindividualisierung des menschlichen Antlitzes. Das sich dann noch – in einer fast dramatischen Steigerung – in der nicht benutz-baren Ausgangstür wiederfindet, dann aber mit dem Kainsmal Exit auf der Stirn. Raum 5, ein Boudoir mit Kronleuchter und broken.mirror, beherbergt eine Lichtnotation, eine zitternde Neonflamme, und einen dekonstruierten Spiegel. Die Neonarbeit ist eine Raumzeichnung; der Spiegel ist ein graphisches Emblem – beide thematisieren pointiert die Wände des Ausstellungsraumes als Teil der ästhetischen Erscheinung. In ähnlicher Weise eignen sich die beiden Alexander-Formen in Raum 6 als Umschaltstation an. Die Formen, die auf modellhafte und modulare Raumkonstruktionen des Künstler-Ingenieurs Alexander Rodtschenko Bezug nehmen, sind gegenseitige Sockel, Schlachtböcke, Schachfiguren, Weg-Weiser, Architekturen usw.
Der kleinere Alexander wird von der Arbeit 11x58W/154.flash in Raum 7 illuminiert – wie auch X-door (Liebe ist kälter als der Tod) im gleichen Raum. In der Passagensituation interagieren die Werke. Taktgeber der Kommunikation der Gegenstände ist die Lichtarbeit – allerdings in einem eher mathematisch-geometrisch, kaum semantisch-anekdotisch zu verstehenden Morserhythmus.
Raum 8 präsentiert den Künstler (und implizit den Betrachter) als Flaneur, der aus der Wahr-nehmung des Bestehenden neue Einheiten konstruiert – Werk-Einheiten, die bewusst die Do-minanzgesten brutalistischer Betonarchitektur und Armierungsgitter aus der Frosch- oder Vogelperspektive betrachten. Dadurch werden die quasi-militärischen industriellen Ordnungs- bzw. Aufmarschmuster verzerrt, vielleicht auch entzerrt. Die urban.studies sind wie Destillate von Walter Benjamins Passagen-Werk. Versuche der (Um-) Deutung der gegebenen Welt.
In Raum 9 scheint man in einen Naturraum zurückzukehren. Flächiges Licht erscheint und verwandelt raw.portrait in ein Wasserbild, in dem sich kein Narziss spiegeln kann. Steht man der Quelle des Lichts, das die Kabinettarchitektur zum Leuchten bringt, gegenüber, erfährt man die Härte des kalten Lichts. Ambivalent sind auch die johnson.twins, eine massstabs-getreue Re-Inszenierung der von den Architekten Philip Johnson und John Burge in Madrid erbauten 144 Meter hohen Puerte de Europa. Das Tor Europas trägt im Original auf dem rechten Turm den Schriftzug einer spanischen Bank, auf dem linken jenen einer spanischen Immobilienfirma. Im Massstab des Künstlers werden daraus ästhetisch vollkommene Käfige.